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1. Dez. 2001 

Die Bücher mit dem kürzesten Haltbarkeitsdatum in meiner Bibliothek sind die politischen Betrachtungen lebender Politiker, kurzfristige Analysen, Angriffe und Rechtfertigungen, Polemiken und Appelle. Ihre Regierungsfähigkeit beweisen sie gerne dadurch „wie sie mit den Herausforderungen der Zeit“ fertig geworden sind. Vielleicht verbergen sich da heimliche Boxer mit „kurzer Rechten“ und „schneller Linken“. In grüner Variante protzen dann „erwachsene Realos“ gegen „spinnerte Fundis“.

Politik ist dort die „Kunst des Machbaren“ oder die „Kunst der Kompromisse“. Also 1. beginnt Kunst erst im Grenzland zwischen gerade „machbar“ und eigentlich neu bis nahezu unmöglich und 2. können Kompromisse sicher Zeugnis geben von Geschicklichkeit, aber diese seltsamen Inhalte der Politik sollten doch vernünftiger Weise nur ihre Mittel sein. Politik scheint zur Reaktion zu verkommen. Daß klugerweise nicht mehr zu verhindernde, wird legalisiert: Abbau der Staatsverschuldung, intelligente Energiepolitik oder Liberalisierung des Miteinander (z.B. Partnerschaftsregelungen). Und das Geschrei der Opposition klingt unglaubwürdig weil Pflichtaufgabe. Wechselten die Mehrheiten, gäbe es sicher noch lange keine radikalen Wechsel.

Das Totschlagargument aller Realpolitiker heißt: „Die Situation erfordert dies Handeln“: Bündnisfall der Nato hat Konsequenzen! Terror muß vernichtet werden! Jetzt ist keine Zeit für Utopien!

Natürlich ist es (wie immer) wieder einmal zu spät, und also Mord und Totschlag erlaubt, natürlich nur als eigene gerechte Maßnahme.

Aber, wer hat denn bitte die Entwicklung der letzten zehn, fünfzig Jahre zu verantworten. Wer besaß die Mittel, Konflikte rechtzeitig zu erkennen und Konfliktforschung zu betreiben.

Wer in kurzer Zeit Milliarden zur Terrorbekämpfung aus dem Boden stampft, muß sich fragen lassen, wo diese Milliarden waren, als die westliche Zivilisation und die westliche Wertegemeinschaft durch verhungernde Kinder und globales Unrecht im Sekundentakt angegriffen wurden. Wer den Krieg erst durch die Ermordung der eigenen Familienangehörigen und durch die Zerstörung der eigenen stolzen Symbole begreift, ist unglaublich dumm oder verlogen.

Die Bekämpfung der Ursachen zu verlangen, gilt als wohlfeile und weltferne Rhetorik. Dabei ist das Erforderliche keine unbekannte Dimension menschlichen Handelns: Heute die Probleme von Morgen rauskriegen und ihre friedliche Lösung erforschen, einen notwendigen Salto vorbereiten und in der Entwicklung der Menschheit endlich Raum zur Gestaltungsfreiheit gewinnen. Das wäre Politik. Dann würde das Argument: „Aber die Situation ist doch nun mal so“ absurd.

Eine Krise – noch dazu eine, die sich über Jahrzehnte ankündigt – sollte nicht zur Rechtfertigung von Gewalt, Phantasielosigkeit und zwanghaftem Handeln dienen, sondern zum Schwur, am ersten Tag des Waffenstillstands weniger in den Verteidigungshaushalt und mehr in den Zukunftshaushalt zu investieren.
Einer hat mir gesagt: Ich denke an Morgen! Jetzt leben soviel Muslime in der Bundesrepublik, morgen die doppelte Anzahl und bald vermehren sie sich im Quadrat. Können Sie sich das vorstellen: Fremder im eigenen Land zu werden?

Ich habe ihm erzählt, vor zwölfhundert Jahren hat mich Ähnliches ein Anderer gefragt: „Hier leben jetzt soviel Christen, wer weiß, was in nur hundert Jahren mit uns passiert.“ Wenn er ein Sachse war, hatte er die Chance vom Terroristenbekämpfer Karl dem Großen zum Tode verurteilt zu werden.

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